Streitgespräch zum Grundeinkommen

Am 19.8. fand ein Streitgespräch zwischen Klaus Bade (Mitglied der Initiative Grundeinkommen München) sowie Renate Börger auf Radio Lora statt. Die Aufzeichnung dazu finden Sie in diesem Artikel. Grundlage waren die folgenden Thesen:

Renate Börger:

  • Auch wenn es bezahlbar ist und auch wenn es dem Kapitalismus abgerungen
    werden könnte: Ich finde den BGE-Weg rückschrittlich. Warum?
  • Arbeit ist gerade in einer hochindividualisierten Gesellschaft d a s Mittel der gesellschaftlichen Teilnahme (siehe Flüchtlinge!) auf der Grundlage von Vereinbarungen, was als verdient und was nicht als verdient gilt (siehe ErzieherInnenstreik). Das Kriterium des Verdienten muss nicht weg sondern muss her. (Spekulationsgewinne sind unverdient). In allen Kulturen ist das Geben und Nehmen eine Art RECHNUNG. Ich will sie wirtschaftsdemokratisch und zivilisatorisch anspruchsvoll!
  • Das BGE individualisiert die Werte-Entscheidungen (z.B. nicht in der Rüstung zu arbeiten.)
  • Das BGE ist ein marktradikales, depolitisierendes Modell, kein gesellschaftsorientiertes. Ich möchte aber gerade in der prodiuktion und all den wichtigen Entscheidungen, wofür und wie wir arbeiten, die gesellschaftliche Dimension zurückgewinnen. Also Hier radkale ARbeitszeitverkärzung udn Produktionsschrumpfung, dort mehr Arbeitszumutungen und Pflichtenverteilung. Gerade die ökosoziale Vision braucht die Frage nach dem Gesamt, der Gesamtrechnung, der Gesamtausrichtung, der Verwendung von Ressourcen. Wir werden wahrscheinlich gar um eine ökologische Arbeitspflicht nicht herumkommen.

Dazu erwiedert Klaus Bade:

  1. Das Wort „bedingungslos“ ist meiner Ansicht nach etwas unglücklich gewählt, da es für viele suggeriert,dass alle Einschränkungen, welche durch Natur, das Leben und die Gesellschaft gegeben sind, behoben werden könnten. Gegner des Grundeinkommens nutzen häufig diesen Irrtum, um die Idee als unrealistisch zu diskreditieren. Gemeint sind aber im Wesentlichen nur zwei Bedingungen, die aus humanen, sozialen, demokratischen und oekologischen Gründen wegfallen müssen: die Bedürftigkeitsprüfung und der Arbeitszwang. Und zwei Bedingungen müssen sogar gegeben sei: Das Grundeinkommen muss jeder und jedem einzelnen gemäß den Menschenrechten zukommen und es muß eine menschenwürdige Existenz sichernde Höhe haben. Ich spreche also lieber vom garantierten Grundeinkommen.
  2. Ich sehe, dass Arbeit durchaus nicht d a s Mittel der gesellschaftlichen Teilnahme ist (freilich in unserer Kapital-und-Arbeit-bestimmten Welt müssen auch Flüchtlinge sich um Existenz und Anerkennung durch Arbeit bemühen, meist ohne Erfolg). Zur Zeit wird diese gesellschaftliche Teilnahme doch eher verhindert durch die für die meisten Menschen vorherrschende Vorstellung von der existenziell unbedingten Notwenigkeit der Arbeit, sei sie auch noch so unsicher, zeitlich begrenzt, unzumutbar, schlecht bezahlt oder schädlich für den Einzelnen und die Gesellschaft. Das Grundeinkommen böte gewiß eine größere Möglichkeit zu gesellschaftlicher Teilhabe. Dass diese dann auch wirklich genutzt würde, dafür wären Mut und Zuversicht der Menschen nötig, dass ihre Teilnahme auch etwas bewirkt. Diese Eigenschaften würden, so ist zu hoffen, wiederum durch das garantierte Grundeinkommen zunehmen, da die Menschen von ihrer Existenzangst befreit würden. Der ErzieherInnenstreik ist ja nun gerade ein gutes Beispiel f ü r ein garantiertes Grundeinkommen, denn das hätte die Verhandlungsposition der ArbeitaufsichnehmerInnen doch erheblich gestärkt, oder meinen etwa die Gewerkschaften, dass nur härteste Not ihrer Klientel sie dazu motiviert, etwas zu unternehmen. Das Kriterium des Verdienten verschwindet doch nicht, sondern wird verdeutlicht, wenn die Verhandlungspartner von eingermaßen gleicher Sicherheitsposition ausgehen können, und nicht die einen nur um ihre Gewinnschmälerung, die anderen aber um ihre menschenwürdige Existenz bangen müssen. Ich würde allerdings die Worte „des Verdienten“ ersetzen durch die Worte „des gerechter Weise Zustehenden“.
  3. Geben und Nehmen sollen einander in möglichst guter Annäherung entsprechen. Das nennt man Gerechtigkeit. Man könnte sie nicht nur eine RECHNUNG, sondern in mathematischer Sprache eine GLEICHUNG nennen. Sie gilt überall auf der Welt als hohes Gut und wird angestrebt, oder das Bemühen um sie wird zumindest geheuchelt. Um sie zu verwirklichen, würde die Demokratie in der Wirtschaft sicher einen Beitrag leisten, vorausgesetzt, dass nicht die große Mehrheit der dann beträchtlich vermehrten Menge der Entscheider immer noch vom kapitalistischen Denken so durchdrungen wäre, dass weiterhin Wachstum, Wettbewerb und Gewinnmaximierung die bestimmenden Ziele wären. Auch hier könnte das garantierte Grundeinkommen gute Wirkung befördern, weil jeder Mitentscheider dann ohne Angst, ins Bodenlose zu fallen, auch über das Wegfallen überflüssiger, schädlicher, sinnlos Energie verschwendender, das Wachstum der Differenz zwischen Arm und Reich beschleunigender Arbeitsplätze befinden könnte.
  4. Der Behauptung, das garantierte Grundeinkommen sei marktradikal, depolitisierend und nicht gesellschaftsorientiert kann man, meines Erachtens, die mit höherer Wahrscheinlichkeit zutreffende Behauptung entgegenstellen: Es ist ein den Markt auf Waren begrenzendes Modell, welches den Arbeitsmarkt (welch ein unmenschlicher Begriff, der den Menschen zur Ware macht) in ein auf demokratischen Beschlüssen beruhendes, freies, selbstverpflichtendes Modell verwandelt. Es ist gesellschaftsorientiert, denn es betrifft die ganze Gesellschaft, und nur völlig desorientierte, deprimierte, ja autistische Menschen würden dadurch „entpolitisiert“. Die waren es dann aber auch schon ohne garantiertes Grundeinkommen.
  5. Die Arbeitszeitverkürzung bringt keine Lösung des Grundproblems, denn sie würde die Arbeitaufsichnehmer weiterhin in Abhängigkeit von den Arbeitvonsichgebern halten, und diese könnten weiter bestimmen, wofür gearbeitet und was produziert werden soll. Selbst wenn dabei viele Arbeitaufsichnehmer mitentscheiden würden, so würden sie wohl doch eher für die Erhaltung ihrer Arbeitsplätze stimmen als im Sinne des Allgemeinwohls. Außerdem müsste natürlich die AZV mindestens bei vollem Lohnausgleich stattfinden, damit der Arbeitaufsichnehmer von seinem Einkommen menschenwürdig leben könnte. Sollte dann auch noch die Arbeitslosigkeit vermindert oder sogar beseitigt werden, so müssten auch die neu hinzukommenden Arbeitsplätze, ebenfalls mit AZV bei vollem Lohnausgleich ausgestattet sein. Drüfte die Lohnsumme sich nicht in den Preisen wiederfinden, so müssten diese heruntersubventioniert werden. Dann könnte man doch lieber gleich ein garantiertes Grundeinkommen einführen. So würde der Staat nicht einzelne Unternehmen mit partiellen Interessen, sondern die gesamte Gesellschaft fördern.

Hier folgt nun die Aufzeichnung der Sendung:

Schreibe einen Kommentar